Kampf gegen den Säurefraß: LWL beschützt Schätze in Archiven
Das Archivamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Münster bearbeitet in seiner Werkstatt Archivgut aus ganz Westfalen, um den sogenannten Säurefraß zu bekämpfen und die Dokumente zu erhalten. Denn seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurde zunehmend säurehaltiges Papier benutzt, das im Lauf der Zeit brüchig wird. Eine neue Vereinbarung mit dem Land NRW, das die Kosten von 1,8 Millionen Euro bis 2023 trägt, sichert jetzt dauerhaft den Kampf gegen den Säurefraß und Schädlinge wie Papierfischchen in den kommunalen Archiven Westfalens.
„Wir danken dem Land dafür, dass wir diese Schätze beschützen können“, sagte LWL-Direktor Matthias Löb bei einem Besuch im LWL-Archivamt am Montag (31.5.) in Münster. „Wenn unsere Fachleute wichtige Akten und Handschriften aus Archiven wieder haltbar machen, retten sie Kulturgut.“ In den vergangenen 14 Jahren hätten so fast 3.900 laufende Meter Archivgut in Westfalen aus bis zu 100 kommunalen Archiven vor dem Verfall bewahrt werden können. Für eine derart „wichtige, aber sehr spezielle Aufgabe“ bräuchten die Kommunen die Unterstützung durch die Archiv-Fachleute des LWL: „Da müssen Fachwissen und Finanzen zusammenkommen.“
Sieben Stellen in der „Landesinitiative Substanzerhalt (LISE)“ finanziere das Land, bis zu zehn Projektkräfte vermittle jeweils der Integrationsfachdienst, finanziert von der Bundesagentur für Arbeit. Löb: „Wir als LWL sind auch froh, dass wir Menschen mit Behinderungen damit sinnvolle Arbeit geben können.“ Zwei dieser Kräfte seien inzwischen unbefristet angestellt.
Der Leiter des LWL-Archivamtes für Westfalen, Dr. Marcus Stumpf, erläuterte das Verfahren: „Nur ein Entsäuerungsbad kann die alten Archivalien retten oder ihre Lebenszeit verlängern. Als ‚Badezusatz‘ dienen dabei alkalische Mittel, die die Säure im Papier neutralisieren. Die historischen Akten werden im LWL-Archivamt für die Entsäuerung durch spezialisierte Dienstleister vorbereitet. Wir kontrollieren den pH-Wert, schicken das Material ins Bad, reinigen danach in unserer Werkstatt das Archivgut vorsichtig mit Latexschwämmen. Risse und Knicke bügeln wir mit Mini-Bügeleisen regelrecht aus.“
Entscheidend sei, dass das Archivmaterial rechtzeitig in die Werkstatt komme. „Wenn das Papier seine Festigkeit weitgehend verloren hat, ist der Zerfall nicht mehr zu stoppen“, so Stumpf weiter. „Neben dem Säurefraß ist unser zweiter großer Gegner das Papierfischchen.“ Die nur etwa 13 Millimeter großen Tierchen ernähren sich von Papier und Verpackungen. Um das wertvolle Archivmaterial zu schützen, werden sämtliche angelieferten Kartons aus den Archiven vor und nach der Behandlung in der LWL-Werkstatt bei minus 18 Grad Celsius in einer Kühlkammer gefroren.
Hintergrund
Papier aus Holz ist für Archive und Bibliotheken ein großes Problem. Wurde Papier vorindustriell aus Stoffresten und Lumpen, den sogenannten „Hadern“, hergestellt, setzte seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Papierherstellung aus Holzschliff ein und verdrängte die alten Methoden: Der nachwachsende Rohstoff Holz war billig und ökologisch, das Papier ließ sich gut industriell produzieren. Nur so konnte der sprunghaft gewachsene Papierbedarf überhaupt gedeckt werden.
Der Nachteil: Aus Holzschliff hergestellte Papiere enthalten Säure, die irgendwann zwangsläufig ihre zersetzende Wirkung entfaltet: Das Papier wird braun, lässt in seiner Festigkeit nach und wird brüchig. Diesen Prozess kann man nicht völlig stoppen, aber man kann ihn aufhalten: Tut man nichts, ist das Papier irgendwann so geschädigt, dass es zu spät ist. Allein in den deutschen Archiven schätzt man den Anteil der historisch wertvollen Bestände, die „sauer“ sind, auf über 1.800 Regalkilometer.
Quelle: LWL
Fotos: Andreas Krüskemper